Thematische Säule III

Genese, Verflechtung und Konflikt der Rechtskulturen (Jahr 4)

Entgegen der starken Präsenz der „Kulturwissenschaften“ in der Rechtsanalyse des 19. Jahrhunderts ist ein neuer kulturwissenschaftlicher und kultursoziologischer Zugang zum Recht erforderlich, der Recht nicht nur als ein Normensystem begreift, sondern als eine symbolisch und rituell vermittelte normative Ordnung der Rechtsgemeinschaft, die in starkem Maße durch religiös geprägte Weltbilder und ihre Praxen bestimmt ist. Dieser Tatbestand wird im Folgenden mit „Rechtskulturen“ bezeichnet. Vor dem Hintergrund des in der Edition der sog. Rechtssoziologie Max Webers (MWG I/22-3) in der Bonner Arbeitsstelle erarbeiteten Wissens über die Kontexte und Hintergründe dieser vergleichenden Kultursoziologie des Rechts soll nicht nur die historisch-komparative Argumentation Webers präzisiert werden, sondern es lassen sich die von ihm entworfenen Bilder Gemälde von Werner Gephart, Max Weber in Indien (2004)Werner Gephart: Max Weber in Indien (2004)unterschiedlicher Rechtskulturen von ihrer idealtypischen Profilierung her bis in gegenwartsbezogene Deutungen verlängern, mit dem Ziel allerdings, Webers die Kulturen eher isolierenden Blick zugunsten einer transzivilisatorischen Perspektive zu überwinden. Angesichts der Herausforderungen, die von den ‚postcolonial studies’ gegenüber dem eurozentrischen Blick formuliert werden, ist insbesondere der Austausch mit Wissenschaftlern zu suchen, die den Weberschen Blick auf den „Anderen“ umzukehren verstehen, also etwa den jeweiligen rechtskulturellen Bias Webers in der Analyse chinesischer, islamischer und anderer Rechtskulturen aus der jeweiligen Binnensicht untersuchen und: diskutieren wollen.

Die Fragestellung Webers – aus dem Vergleich der Rechtskulturen die Besonderheiten einer okzidentalen Rechtsentwicklung herauszuschälen, dabei einerseits inneren Gründen der Rationalisierung des Rechts und insbesondere den Orten der Rechtsvermittlung nachzugehen, und andererseits die äußeren Entwicklungsbedingungen in der politischen, in der wirtschaftlichen und in der religiösen Sphäre zu spezifizieren – diese Fragestellung war nicht auf den Konflikt, die Reibungsflächen, Verwerfungen und hybriden Mischungsverhältnisse der idealtypisch und relativ isoliert herauspräparierten Rechtskulturen angelegt. Insofern ist Webers Analyse zu ergänzen: Anstelle eines auf die Eigenart des Okzidents fixierten komparativen Ansatzes, sind gerade die Wechselwirkungen und Verflechtungen zwischen rechtskulturellen Ordnungen aufzuarbeiten. Aber heißt dies, dass wir auf Webers Einsichten verzichten müssten, wenn wir mit dem Zusammenprall von Kulturen einschließlich ihrer normativen Ordnungen befasst sind, zumal die herkömmliche Rechtsvergleichung die Rechtskulturen Asiens, Indiens und Afrikas sowie insbesondere die des Islams weniger beachtet?

Und wie lassen sich überhaupt die verschiedenen Rechtskulturen und Rechtssprachen ineinander übersetzen, um nicht nur dem Rechtsvergleicher seine Arbeit zu erleichtern, sondern auch um wechselseitiges Verständnis oder gar: kommunikatives Einverständnis zu erzielen?