Thematische Säule IV

Kulturformen des Rechts: Literatur, Film, Architektur (Jahr 5)

Unter den Kulturtatbeständen, die in Wechselwirkung mit dem Recht treten, ist nicht nur die Religion vernachlässigt – im Zuge einer materialistischen Rechtsauffassung, die sich auf die Beziehung von Wirtschaft und Recht fixiert hat –, sondern auch die Literaturen im Reich des Normativen sind stiefmütterlich behandelt. In der angelsächsischen Forschung wird dabei eine Doppelperspektive genutzt: „Law in literature“ aufzusuchen und zugleich „Law as literature“ zu lesen.

Ist die große Zahl der „Dichterfürsten“ bloßer Zufall, der Dominanz der Jurisprudenz im Kanon der Kameralwissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts und ihrer Spätausläufer geschuldet? Oder begründet gerade die Struktur des Erzählens von unerhörten Begebenheiten eine narratologisch deutbare Wahlverwandtschaft von Recht und Literatur? Der komparative und unseres Erachtens über die „Law and Literature“-Forschung hinausgehende, innovative Ansatz wäre hier also ein doppelter: Einerseits Rechtskulturen miteinander zu kontrastieren, und andererseits Erzählformen der literarischen Kommunikation herauszupräparieren, die sich nicht zufällig unterscheiden, sondern in Recht und Literatur differenten Erzählkulturen entsprechen.

Daher müsste auch die zur Annäherung der konfligierenden normativen Ordnungen erforderliche „Übersetzung“ der Rechtskulturen die jeweiligen narrativen Traditionen in Rechnung stellen. Wenn der Satz von William Hazlitt zutrifft: „Poetry like the law, is a fiction; only a more agreeable one“, dann wäre etwa an neuere Analysen narrativer Poetologien anzuknüpfen, um dieser Doppelperspektive des erzählten Lebens in Recht und Literatur gerecht zu werden. Welche Folgen hat die „logique du récit“ für die Rechtskulturen in China, Indien und in der islamischen Welt? Ein entsprechend komparativer Ansatz würde die Hypothese verfolgen, dass sich die Eigenart von Rechtskulturen in der Erzählweise ihrer (Fall-)Geschichten sowie der Verdichtung zu narrativen Knotenpunkten manifestiert und durch den Bezug auf Schreib- und Sprechakte („es steht geschrieben“, „der Prophet hat gesagt und X hat gesagt, der Prophet hat gesagt“, oder: „Y hat gesagt, X habe gesagt, der Prophet habe gesagt“) narrative Ketten entstehen, die bei der Verfestigung einer „ständigen Rechtsprechung“ zu eigener Normativität gelangen.

Auch im (und durch) das Medium des Films kristallisieren und konstituieren sich kollektive Repräsentationen von Recht, die je nach rechtskulturellem ‚Setting’ ihrerseits besonders für dramatische Effekte geeignet erscheinen. Dass sich im Zuge einer auch medialen Globalisierung rechtskulturelle Eigenarten am „falschen Ort“ wiederfinden, zeigt das Format von Court-TV-Shows, die das amerikanische Verfahren weltweit in fremde Rechtskulturen verpflanzen. Soweit die jeweiligen Rechtsordnungen Film und Fernsehen Zugang zum Gerichtssaal gestatten, entstehen mitunter eigene ‚court channels’, die auf der Suche nach der historischen ‚Wahrheit’ auch mit der Aufarbeitung staatlichen Unrechts befasst sind. Insofern würden sich ‚Simulakren der Gerechtigkeit’ (Baudrillard) für komparative Analysestrategien anbieten.

Während schließlich das Material zu Gerichtsbauten in Europa zugänglich erscheint und etwa Gerichtsarchitektur bereits vielfach als versteinerte Rechtskultur und insofern symbolisch aufgeladen gelesen wird, so sind unsere systematischen Kenntnisse und Einsichten über den Zusammenhang von Rechtssymbolik, Ritualität und Verräumlichung des Rechts an Orten der Gerechtigkeit außerhalb des Okzidents völlig unzureichend. Wie wird die Pluralität konfligierender, sich überlappender und segregierter normativer Ordnungen in Indien sinnfällig? Und welche Geschichte der symbolisch-rituellen Tribunalisierung hat China zu erzählen?

Die Pointe dieses Forschungsabschnitts des Kollegs besteht also darin, im Schnittpunkt von Symbolforschung, Architekturgeschichte und kulturwissenschaftlicher Rechtsforschung die Differenz der Rechtskulturen im islamisch-arabischen und asiatischen Raum auch in ihren äußeren Erscheinungsformen sinnfällig zu machen, ihr Konfliktpotenzial zu untersuchen und integrative Orte der Rechtskulturen zu beleuchten.