Nina Dethloff (Bonn), Werner Gephart (Bonn), Clemens Albrecht (Bonn): Recht im Globalisierungsprozess

Die Podiumsveranstaltung greift eine zentrale Thematik des Kollegs auf, nämlich inwieweit der fortschreitende Globalisierungsprozess vom Recht mitgetragen oder im Recht gespiegelt wird im Spannungsfeld von juridischer Universalisierung und rechtskultureller Partikularisierung. Aus juristischer Perspektive gilt es, die mit dem Globalisierungsprozess verbundene wachsende Heterogenität der Geltungsquellen zu bewältigen. Der Primat nationalstaatlicher Rechtsetzung ist einem Rechtspluralismus gewichen, in dem heute nationales, supranationales und internationales Recht in verschiedenen Bereichen und auf unterschiedlichen Ebenen konkurrieren, interagieren und miteinander verflochten sind. Das Reich des Normativen ist komplexer geworden!

Im Rahmen der 200-Jahr-Feier der Universität Bonn werden Werner Gephart, Nina Dethloff und Clemens Albrecht Karl Marx, Joseph Schumpeter und Ernst Zitelmann aus dem Blickwinkel von "Recht als Kultur" beleuchten:

Der Bonner Rechtsstudent Karl Marx hat (gemeinsam mit Friedrich Engels) bereits im Manifest der kommunistischen Partei eine globale Dimension seiner Analyse entdeckt: Das ‚Kommunistische Manifest‘ lässt sich als eine Beschrei­bung und Analyse von entterritorialisierten Kapitalströmen und globalisier­ten normativen Ordnungen lesen, so, wie sie später etwa in ‚Economies of Signs and Space‘ von Scott Lash und John Urry beschrieben wurden. Die globale Ausdehnung des Kapitalismus wird von Marx an einer berühmten Stelle des ‚Kapitals‘ so beschrieben, dass die Zentralisierung und Monopolisierung des Kapitals mit der kapitalistischen Produktionsweise konfligiert und deren ‚Hülle‘ daher gesprengt werden muss. Marx spricht von der „Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts“, und diese Entwicklung stellt nach ihm den Charakter des globalen kapitalistischen Regimes dar. Wie sich eine derartige Sicht im Werk von Immanuel Wallerstein und anderen fortgesetzt hat, wird der Gründungsdirektor des Kollegs, Prof. Dr. jur. Dr. h.c. Werner Gephart, erläutern.

Der Beitrag von Prof. Dr. jur. Nina Dethloff, Co-Direktorin des Kollegs, wird „Vom Weltrecht und seinen Grenzen“ handeln. Die beiden Jahrhunderte seit Gründung unserer Universität sind einerseits geprägt von einer Entwicklung hin zur Entstehung eines einheitlichen Privatrechts, wie sie der Universalrechtsgelehrte und Dichter  Ernst Zitelmann, Professor für Römisches Recht und Bürgerliches Recht an der Universität Bonn und Rektor zur Zeit ihres 100. Geburtstags, im Jahr 1888 mit seiner Vision eines Weltrechts wohl nur erahnen konnte. Ein Jahrhundert später zeigt der international renommierte Bonner Rechtswissenschaftler Günther Beitzke mit seinen Forschungsfeldern des Kollisionsrechts und des Familienrechts zugleich auch die Grenzen dieser Entwicklung auf: Gerade im stark rechtskulturell geprägten Bereich des Familienrechts herrscht eine grundsätzliche Akzeptanz des Rechts des Anderen vor, die auch im Inland zur Anwendung fremden – und mitunter durchaus von inländischen Rechtsvorstellungen abweichenden – Rechts führen kann, deren Grenzen es auch mit Blick auf die Vereinbarkeit mit Grund- und Menschenrechten auszuloten gilt, wie dies jüngst wieder in Debatten um die Anerkennung von Kinderehen, polygamen   Beziehungen oder Privatscheidungen sichtbar wird.

Prof. Dr. Clemens Albrecht, Co-Direktor des Kollegs, wird als Kultursoziologe zeigen, wie sich Globalisierung als historischer Prozess in Schüben vollzieht und von vielfältigen Frakturen durchzogen und durchbrochen ist. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg legte Joseph Schumpeter, der dann wenige Jahre später nach Bonn berufen wurde, in seiner ‚Soziologie der Imperialismen‘ eine Analyse des Wechselverhältnisses zwischen ökonomischen Entwicklungen, sozialen Grundlagen und raumgreifenden politischen Entscheidungen vor, die neben der Tendenz zur Internationalisierung des Rechts gleichzeitig die strukturellen Ansatzpunkte zu Rückschlägen und Durchbrechungen legaler Ordnungen verstehbar macht. Recht, so macht Schumpeter deutlich, muss als Kultur willentlich getragen werden, und wie die Gleichgewichtsordnung ökonomischer Systeme durch den Unternehmer zerstört und zugleich vorangetrieben wird, so lassen sich partikularistische Machtbestrebungen politischer Kollektive gerade in ihrem strukturellen Atavismus zugleich als Motoren universalistischer Regelungsbemühungen begreifen.