Recht als Kultur

oder: Im „Namen“ der Kultur? (Jahr 6)

In einer Abschlussphase werden die Forschungsergebnisse der einzelnen Kollegjahre wieder zusammengeführt. Die Problemstellung lässt sich in folgender Frage resümieren: Welche Konsequenzen haben die Einsicht in historisch und kulturell zu differenzierende Zusammenhänge von Recht und Religion (I), die Verortung von Recht und konkurrierenden normativen Ordnungen in einem mehrdimensionalen Globalisierungsprozess (II), die Ausfächerung von rechtskulturellen Spannungsfeldern (III) und die vielen Gesichter rechtlicher Repräsentationen in Literatur, Film und Architektur (IV) für die Frage, welcher Stellenwert der „Kultur“ für das „richtige Recht“ einzuräumen ist? Stellt es eine eigene Geltungsdimension in empirischer und vielleicht auch normativer Hinsicht dar? Geht es gar um den Wandel von einer längst verabschiedeten Klassenjustiz zu einer Art „Kulturjustiz“, wenn insbesondere religiös geprägte Gemeinschaften innerhalb einer geltenden Rechtsordnung Ansprüche auf die Geltung ihrer jeweiligen Rechtskultur erheben? Dieses wird besonders deutlich am Beispiel der Präsenz islamischen Rechts, bzw. der verschiedenen Rechtsschulen, in okzidentalen Gesellschaften einerseits, aber auch im multikommunitären Indien. Innerhalb Europas werden unterschiedliche rechtskulturelle Modi zur Vermittlung von Geltungsdifferenz sichtbar: Frankreich ist durch sein Modell der laizistischen Trennung der Sphären von Recht und Religion im öffentlichen Raum geprägt, in Deutschland hingegen gilt gerade eine Anerkennung der Staatskirchenwirklichkeit, in den Niederlanden steht die um eine islamische „Säule“ erweiterte strukturelle „Verzeuilung“ mit einer Debatte um die Grenzen der in den Niederlanden tradierten Toleranz in Spannung, während in Großbritannien und Kanada Vorstellungen über die Vermittlung von partikularen Geltungskulturen und staatlich-rechtlicher Einheit in einem rasanten Wandel begriffen sind.

Lässt sich hieraus eine Tendenz zu einer Art transkultureller Jurisprudenz beobachten? Wie verhält sich die Idee eines juridischen Universalismus zu einem partikularen Recht auf Rechte? Welche Bedeutung spielt die Verfahrenskultur für die Eröffnung eines Diskursraumes, in dem unterschiedliche Geltungsansprüche von Kulturen artikuliert werden können? Wird Kultur also zu einer Art „Rechtsquelle“? Oder bleibt es beim symbolisch juridischen Dekor, dem äußeren Schein der Rechtspraxis, der Ritualbeachtung und den formalen, organisationsförmigen Garantien des Rechts? Es bleibt zu vermuten, dass die Frage nach dem Verhältnis von „Faktizität und Geltung“ nicht aus ihren kulturellen Kontexten herauszulösen ist, aber es bleibt ebenso der Verdacht, dass eine unterschiedslose und insofern „kulturalistische“ Inrechnungstellung der jeweils anderen Rechtskulturen an Einsichten in den wertgebundenen Charakter der vermeintlich rein „formalen“ Rechtskulturen vorbeigeht.