Prof. Dr. Otto Kallscheuer

Università degli Studi di Sassari

Curriculum Vitae

Otto Kallscheuer studierte Philosophie, Soziologie und Geschichte in Bonn, Bochum und Berlin. 1985 wurde er an der Universität Frankfurt in Philosophie promoviert und habilitierte sich 1997 an der Universität Gießen in Politischen Wissenschaften. Er lehrte und forschte unter anderem an der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie an der Freien Universität Berlin. Gastprofessuren führten ihn unter anderem an die Universitäten Neapel, Gießen, Luzern und Rom III. Als Fellow beziehungsweise Visiting Scholar war er unter anderem am Institut für die Wissenschaften vom Menschen, an der School of Social Science am Institute for Advanced Study in Princeton sowie am ZRWP/ Center for Religion, Economy and Politics des Collegium Helveticum an der Universität Basel tätig.

2012 war er Visiting Research Fellow am Bochumer Käte Hamburger Kolleg „Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa“. Zuletzt hatte Otto Kallscheuer im Sommersemester 2014 die Friedensgastprofessur der Universität Osnabrück inne und forschte und lehrte am Zentrum für Demokratie- und Friedensforschung (ZeDF). Zuvor arbeitete er als Research Fellow an der Italian Academy for Advanced Studies in America an der Columbia University, New York, und war Gastprofessor für Politische Philosophie an der Universität Sassari. Nach einem ersten Forschungsaufenthalt am Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ von März bis August 2011 war er von Oktober 2014 bis März 2015 erneut Fellow in Bonn.

Forschungsprojekt

Schatten im Subjekt. Der Schnitt von Licht und Schuld in der Malerei Caravaggios

Das letzte halbe Jahrhundert hat in der akademischen Kunstgeschichte, aber auch in der Gunst des breiten Publikums zu einer spektakulären Wiederentdeckung des italienischen Malers Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio (nach seinem Heimatort) geführt. Für Jahrhunderte hatte er allenfalls als einer der minori, der kleineren manieristischen Meister des Frühbarock gegolten, bevor v.a. Roberto Longhi ihn alla grande wiederentdeckte. Caravaggios neuerlicher, gewiss durch große Ausstellungs-Events in diversen Metropolen beförderter Kultstatus könnte nun – jenseits der Kulturindustrie – damit zu tun haben, dass dieser Maler spezifische Konstituenzien des modernen (Ich- und Kunst-) Bewusstseins in statu nascendi anspricht oder zum Ausdruck bringt – auch solche, welche die (artistische wie kulturelle) Postmoderne zu schnell (oder: zu oberflächlich) verabschiedet hatte.

In meinem Aufenthalt am Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ will ich versuchen, den perspektivischen, fokussierten, aber vor allem durch eine scharfe Lichtquelle ausgeleuchteten Blick des Caravaggio als paradigmatische Form moderner Selbstgewissheit und ihrer Abgründe und Schattenseiten zu verstehen.

Der in den i.d.R. von den Auftraggebern vorgegebenen Sujets Caravaggios (Anbetung, Martyrium, Bekehrung) präsente Körperlichkeit wird vom Maler ‚naturalistisch’ verdichtet. Hier stehen Caravaggios Bilder auch für einen Paradigmenwechsel in der Frömmigkeitsgeschichte: von der hieratischen Anschauung zum mitfühlenden Wahr-Nehmen des heilsgeschichtlichen Dramas der Inkarnation. Caravaggio nimmt bekanntlich seine Subjekte von der Gasse, sie sind voller Schmutz und Beulen, er leuchtet sie aus, aber er transfiguriert sie nicht.

Das gewöhnliche Leben, nicht ein übernatürliches Jenseits ist nun der Gegenstand der religiösen Botschaft. Caravaggio wurde schulbildend sowohl im Spanien der Gegenreformation wie in den calvinistischen bzw. konfessionell zerstrittenen Niederlanden (Utrechter Schule).

Die von ihm in barocker Dramatik präsentierte Thematik von Schuld und Strafe verdichtet zugleich – gewissermaßen ‚technisch’ – zentrale Themen einer sich in etwa gleichzeitig auch philosophisch neu konfigurierenden Subjektivität im Westen als ‚detached’ oder disembedded subjectivity (Charles Taylor). Die Suche nach Gewissheit führt bei René Descartes zu Ausblendung variabler Sinneseindrücke als verlässlicher Erkenntnisquellen, zur reductio auf das unbezweifelbare cogito.

Bei Caravaggio lässt die Fokussierung von Licht und Blick (und Schwert) die cartesische Wahrheit der res cogitans als Lichtquelle operativ werden. Doch das Ergebnis ist paradox: das Subjekt nimmt zwar schärfere Konturen an, doch wird es sich damit selbst nicht fassbarer, klarer, beherrschbarer. Vielmehr verliert das ausgeleuchtete Subjekt sich selbst, sein Fall in das Licht der Wahrheit (siehe Caravaggio’s ‚Paulus’ in Santa Maria del Popolo) ist ein Sündenfall: Es fällt aus der hierarchischen Ordnung des Kosmos, der noch den Renaissance-Humanismus trug. Eine ‚Lektüre’ von Caravaggio’s Fokus vermag somit auch die Reflexion über Selbstgewissheit und Selbstverlust im (philosophischen, theologischen) Licht der frühen Neuzeit befördern.

Publikationen (Auswahl)

  • Girard and Religion in the Age of Secularism, in: Wolfgang Palaver / Richard Schenk (Hrsg.), René Girard and World Religions, East Lansing, Michigan: Michigan University Press (2014, im Erscheinen).
  • Legitimität Identität Stabilität. Die Europäische Union in einer Legitimationskrise?, in: Alexander Heit / Georg Pfleiderer (Hrsg.), Religions-Politik I. Zur historischen Semantik europäischer Legitimationsdiskurse [Schriftenreihe Religion – Wirtschaft – Politik, Band 6 – 2013], Zürich / Baden-Baden: Nomos Verlag 2013.
  • Ein Papst auf dem Boden des Grundgesetzes, in: Georg Essen (Hrsg.), Verfassung ohne Grund? Die Rede des Papstes im Bundestag, Freiburg i.Br.: Herder Verlag 2012.
  • Sind Gesellschaften friedensfähig? Stichproben aus der politischen Ideengeschichte, in: Mariano Delgado / Adrian Holderegger / Guido Vergauwen (Hrsg.), Friedensfähigkeit und Friedensvisionen in Religionen und Kulturen, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2012.
  • Nachhaltigkeit und Freiheit, Vorwort zur Neuausgabe von: André Gorz, Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft, Zürich: Rotpunktverlag 2010.
  • Hegels Theorie der Säkularisierung: Rechtsstaat als protestantisches Prinzip?, in:Andreas Arndt, Christian Iber und Günther Kruck (Hrsg.): Staat und Religion in Hegels Rechtsphilosophie, Berlin: Akademie Verlag 2009.
  • Zur Zukunft des Abendlandes, Springe: Zu Klampen Verlag 2009.
  • Die Wissenschaft vom Lieben Gott. Eine Theologie für Recht- und Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten, Frankfurt / M.: Die Andere Bibliothek, Eichborn Verlag 2006.
  • Gottes Wort und Volkes Stimme. Glaube Macht Politik, Frankfurt / M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1994.
  • Glaubensfragen. Über Karl Marx & Christus & andere Tote, Frankfurt/M.: Frankfurter Verlagsanstalt 1991.
  • Marxismus und Erkenntnistheorie in Westeuropa. Eine politische Philosophiegeschichte, Frankfurt/M.; New York: Campus Verlag 1986.