Julia Mehlich (Moskau/Bonn): Die Begegnung von Rechtsnihilismus, Kommunitarismus und liberalem Recht. Kultur und Geltungstheorie in Russland
Abstract
Liberalismus, Kommunitarismus und Rechtnihilismus in Russland werden aus der Perspektive ihrer kultur- und ideengeschichtlich bestimmten Eigentümlichkeit untersucht. In der Gegenwart vollzieht sich eine paradoxe Annäherung von Liberalismus und Kommunitarismus mit ihrem jeweiligen als gegensätzlich wahrgenommenen Rechtsverständnis des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft. In der russischen Rechtsphilosophie wird diese Paradoxie scheinbar verstärkt durch den Rückgriff der liberalen Vertreter der transzendentalen wert- und normbildenden Theorie Heinrich Rickerts und der Petersburger sozialpsychologischen Rechtsschule Leon Petrażyckis, unter ihnen Sergei Hessen, auf die All-Einheitslehre des Rechtnihilisten Wladimir Solowjow. So übernimmt Hessen den von Lew Karsawin eingeführten Begriff der „kollektiven Persönlichkeit“ (oder „kollektiven historischen Individualität“), der seinerseits aus dessen auf der All-Einheitslehre gründenden personalistischen Philosophie hervorgeht. Hessen behauptet nicht, den Individualismus durch den Kollektivismus zu ersetzen, sondern strebt ausdrücklich eine „Erweiterung des Prinzips des Individualismus“ an. Das Paradox der Annäherung von Liberalismus und Kommunitarismus erfährt so eine durchaus rationale Erklärung
Prof. Dr. Julia Mehlich
Curriculum Vitae